Mittwoch, 6. März 2013

Die Mauern fallen, der Mythos lebt

 

 

Stammheim: JVA soll abgerissen werden / Diskussionen um Umgang mit RAF-Vergangenheit 

Es ist ein ruhiger Morgen in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Der Himmel ist grau. Genauso farblos sehen die Wände des wohl bekanntesten Gefängnisses in Deutschland aus. Der Ort, an dem die Auseinandersetzung des Staates mit dem linksradikalen Terrorismus in den 70ern mit dem Deutschen Herbst ihren Höhepunkt erreichte, ist in die Jahre gekommen. Es waren die Tage, an denen die Rote Armee Fraktion (RAF) mit der Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hans Martin Schleyer und der Entführung einer Boeing 737 der Lufthansa einer ganzen Nation Angst und Schrecken einjagte. Kein zweiter Ort wird so mit der RAF-Epoche in Verbindung gebracht wie Stammheim.

Ein Stück deutsche Vergangenheit

Der Mythos lebt vor allem in Bau eins, der sich am Beginn des 5,5 Hektar großen Areals befindet. Er wird von allen nur das Hochhaus genannt. Hier haben sich 1976 und 1977 die führenden RAF-Terroristen Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe das Leben genommen. Bau eins steht für ein Stück deutsche Vergangenheit, spätestens bis Ende 2015 soll das Gebäude selbst der Vergangenheit angehören. Das Land Baden-Württemberg will es abreißen und für 43,7 Millionen Euro ein modernes Haftgebäude errichten.

 

Peter Jesse steigt in den Aufzug und drückt die Sieben. Der Leiter des Vollzugsdienstes, ein glatzköpfiger Mann von großer Statur, will eigentlich nicht mehr über die RAF sprechen. Er ist Hobby-Angler, ein ruhiger Zeitgenosse. Jegliche Art von Überhöhungen bezüglich der RAF-Zeit sind ihm fremd. "Sie waren normale Gefangene und damit fertig", so Jesse, der seit 13 Jahren in Stammheim arbeitet. Der Aufzug hält in dem Stockwerk, in dem die Terroristen inhaftiert waren. Es geht vorbei an orange-farbenen Zellentüren. "Im Flur konnten sich Baader, Meinhof, Ensslin und Raspe zeitweise frei aufhalten", erzählt Jesse.
Am Ende des Gangs befindet sich die wohl bekannteste Zelle Deutschlands. Es ist die Nummer 719, etwas mehr als 21 Quadratmeter groß - der Raum, in dem sich Meinhof mit einer aus zusammengebundenen Handtüchern erstellten Schlinge am 9. Mai 1976 erhängt hat. "Sie hat sich am Fensterkreuz stranguliert", sagt Jesse und greift an die Gitterstäbe. Am Morgen des 18. Oktober 1977, gegen acht Uhr, fanden die Beamten in der 719 Andreas Baader blutüberströmt am Boden. Er hat sich erschossen, nachdem bekanntgeworden ist, dass die entführte Lufthansa-Maschine in Mogadischu von der GSG 9 befreit werden konnte. "Die Waffe wurde Baader damals von den RAF-Anwälten weitergegeben", erklärt Jesse kopfschüttelnd. Er blickt aus dem Fenster. "Da sieht man den Kornwestheimer Verladebahnhof."
Außer den beiden Fenstern und den Gittern davor wurde in der Zelle 719 alles erneuert. Inzwischen werden in dem Raum Schulungen für Inhaftierte durchgeführt, an der Tür hängt ein DIN-A4-Plakat mit einem Konzerthinweis einer Esslinger Rockband mit dem Namen "Conquered Mind". "Die spielen für die Gefangenen", so Jesse. Mit Veranstaltungen wie dieser versucht die JVA den Inhaftierten im tristen Alltag eine Abwechslung zu bieten. Gegenüber der 719 befindet sich die Zelle 720. Hier hat sich Ensslin mit einem Lautsprecherkabel erhängt - ebenfalls am 18. Oktober 1977, der sogenannten Todesnacht.
Das Hochhaus steht seit über 50 Jahren. Wird es abgerissen, verschwinden auch die Zellen. Doch wie soll man mit der RAF-Vergangenheit umgehen? Diese Frage sorgt in Stuttgart für kontroverse Diskussionen. Die Grünen im Gemeinderat reichten im Januar einen Antrag ein, man möge die Überbleibsel im Stuttgarter Haus der Geschichte archivieren. Es wurde angedacht, die Zellen der RAF-Terroristen nachzubauen. "Da wird über Dinge diskutiert, die es gar nicht mehr gibt", meint Elke Engelhardt, stellvertretende Vollzugsdienstleiterin. Denn von Zelle 719 und 720 sind nur noch die Fenster und Türen im Original erhalten. "Alles andere wurde schon lange erneuert." 


Quelle

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